Zur Person:
Anne-Kathrin Blank ist 45 Jahre alt, verheiratet und ist Mutter eines 21-jährigen Sohnes. Die gelernte Anwaltsgehilfin arbeitet im Rechts- und Kommunikationsaufsichtsamt des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte. Sie war 17 Jahre in einer Anwaltskanzlei und einer Schuldnerberatung tätig. Seit Januar 2019 leitet sie die Außenstelle des WEISSEN RINGS in Neubrandenburg. Mit rund 45.000 Mitgliedern ist der WEISSE RING e.V. Deutschlands größte Hilfsorganisation für Opfer von Kriminalität. Anne-Kathrin Blank ist bundesweit eine von etwa 2.900 professionell ausgebildeten ehrenamtlichen Opferhelfern.
Neubrandenburg/vtb. Hallo Frau Blank. Sie leiten seit etwa 2 Jahren die Außenstelle des WEISSEN RING e.V. in Neubrandenburg. Wie kam es dazu?
Durch meine langjährige Tätigkeit in einer Anwaltskanzlei kannte ich die Hilfsorganisation und ihre Arbeit gut. Und ich habe mich schon immer darüber geärgert, dass sich unsere Gesellschaft mehr um Täter kümmert als um Opfer.
Wie meinen Sie das?
Einem Täter wird beispielsweise ein Pflichtverteidiger angeboten. Er wird während der Untersuchungshaft bzw. des Gefängnisaufenthalts verpflegt und bekommt nach der Haft einen Bewährungshelfer, Angebote zur Resozialisierung und eine zweite Chance auf dem Arbeitsmarkt. Und das, obwohl er sich entschieden hat, einen anderen Menschen oder auch mehrere zu verletzen, zu demütigen, zu ängstigen und somit zum Opfer zu machen. Opfer haben hingegen überhaupt keine Wahl. Ihnen bietet auch niemend Hilfe an.
Was bedeutet die Opferhilfe für Sie?
Ich möchte Menschen in Notlage einen Ausweg zeigen, indem ich sie beispielsweise an Mitarbeiter von Organisationen, Einrichtungen und Vereinen vermittle, um ihnen wieder Mut, Lebenswillen, Hoffnung und Zukunftsaussichten zu geben. Unser Gesundheitssystem hat schlicht Grenzen, was die Verfügbarkeit von psychologischen Hilfen durch Therapeuten und Traumaambulanzen angeht.
Wie hat der Lockdown Ihre Arbeit beeinflusst?
In Corona-Zeiten führen Quarantäne oder Homeoffice, geschlossene Schulen und Kindertagesstätten auch zu ungewohnt viel gemeinsamer Zeit mit dem Partner oder der Familie. Die daraus entstehenden Stresssituationen können zu Konflikten, Streit und sogar Gewalt führen. Nicht immer sind es hier nur Kleinigkeiten, sondern zum Teil schwere Körperverletzungen und Misshandlungen, die eine Unterbringung im Kinder- und Frauenschutzhaus notwendig machen.
Was können Sie in solchen Situationen leisten?
Auch wenn wir die Tat nicht ungeschehen machen können, können wir zumindest die Folgen lindern und Opfern aus einer Notlage helfen. In Zusammenarbeit mit der Polizei, der Interventionsstelle für häusliche Gewalt, Rechtsanwälten, psychosozialen Prozessbegleitern, Sozialarbeitern und anderen Netzwerkpartnern kann der WEISSE RING mit immateriellen und materiellen Hilfen unterstützen.
Sind Sie in der aktuellen Situation in Ihrem Ehrenamt eingeschränkt?
Der persönliche Kontakt zu Opfern ist das, was wir in unserem Ehrenamt an erster Stelle sehen. Derzeit ist es meinen Mitarbeitern in der Außenstelle Neubrandenburg und mir coronabedingt nicht immer möglich, diesen auch angemessen zu pflegen. Dennoch ist mir der persönliche Kontakt zu den Opfern sehr wichtig. Daher halte ich derzeit an meiner wöchentlichen Sprechstunde fest, wenn auch mit Masken, Desinfektionsmittel, Abstand, Lüften und ohne Händedruck. Die Bundesgeschäftsstelle in Mainz hat zudem Möglichkeiten geschaffen, auch in dieser Zeit schnelle Hilfen zu gewährleisten und unkompliziert schriftlich in Kontakt zu treten. Somit ist es uns möglich, unsere ehrenamtliche Tätigkeit beim WEISSEN RING auch im Pandemiegeschehen auszuüben, um Kriminalitätsopfern zu helfen, denn Ehrenamt ist keine Arbeit, die nicht bezahlt wird. Es ist Arbeit, die unbezahlbar ist - eine Herzenssache.
Was würden Sie sich für Ihre ehrenamtliche Arbeit wünschen?
Kriminalität entwickelt sich schneller als der Opferschutz! Ich wünsche mir, dass hier aufgerüstet wird, denn Straftaten machen nicht vor Pandemien halt! Die Täter haben sich der aktuellen Situation angepasst, machen sich die gegebenen Möglichkeiten im Internet zunutze und schaffen es mit neuen Strategien, die Menschen zu betrügen.
Wie starten Sie heute in den Sonntag?
Sonntag ist Familientag bei uns, wir schlafen etwas länger als sonst und frühstücken gemeinsam mit Kaffee, Brötchen, Rührei und Speck, essen, lachen, reden, planen die nächste Woche und genießen die gemeinsame Zeit.
Vielen Dank für das Gespräch. (ib)