Selbst erlebte Ratlosigkeit und Ohnmacht haben einst dazu geführt, dass Betroffene von Straftaten heute mit Hilfe des WEISSEN RINGS nicht mehr ganz so hilflos dastehen. Die Initiative dazu ging von einem Polizeibeamten aus, der meinte: Die Täter werden gejagt, um die Opfer kümmert sich keiner.
Neubrandenburg. „Wir könnten viel mehr helfen“, sagt Manfred Dachner, der stellvertretende Vorsitzende des WEISSEN RINGES in Mecklenburg-Vorpommern. Die Organisation kümmert sich um die Opfer von Straftaten. Das Problem ist nur: „Viele Opfer werden uns gar nicht bekannt“. Das hat verschiedene Gründe. So würden viele Betroffene den WEISSEN RING gar nicht kennen. Oder der Datenschutz verhindere, dass die Namen der Opfer weitergegeben werden. Oder sie würden sich schämen, die Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Bei der heutigen Festveranstaltung zum 25-jährigen Bestehen des WEISSEN RINGES in Mecklenburg-Vorpommern im Neubrandenburger Klinikum wird Manfred Dachner einen Fall schildern, der ihm genau dort vor einiger Zeit passiert ist. Eher zufällig habe er damals von einer Frau erfahren, die dort als Patientin war, nachdem sie überfallen und ausgeraubt worden war. Zwar durfte Dachner nicht persönlich mit ihr reden, eine Schwester habe aber angeboten, nachzufragen, ob ein Gespräch mit dem WEISSEN RING gewünscht sei. Die Frau lehnte ab.
Als Manfred Dachner das geschundene Gesicht der Frau sah, sei es jedoch aus ihm herausgeplatzt: Wie sie es sich denn vorstelle, nach der Entlassung nach Hause zu kommen? Schließlich waren mit der Tasche auch Ausweis, Schlüssel und Geldbörse gestohlen worden. Und wer für die zerbrochene Brille und die zerrissene Kleidung in Vorleistung gehen würde, da davon auszugehen war, dass die Frau keine Ersparnisse hatte? Und wer ihr schließlich dabei helfen würde, die Dokumente neu zu beschaffen, Rechtsansprüche geltend zu machen oder schließlich auch auf die Gerichtsverhandlung vorzubereiten, falls der Täter gefasst werden sollte?
In seiner Zeit als Polizeibeamter seien ihm bis zum Jahr 1990 hundertfach Fälle begegnet, bei denen verletzte Frauen nach der Anzeigenaufnahme wieder zu den gewaltbereiten Männern nach Hause geschickt wurden. Die dabei von ihm empfundene Ratlosigkeit und Ohnmacht hätten schließlich dazu geführt, dass in Neubrandenburg 1991 der erste Regionalverband des WEISSEN RINGES in den neuen Bundesländern gegründet wurde. 25 Jahre später bilanziert Manfred Dachner, dass es zwar weniger Kriminalität gebe, die Zahl der Opfer jedoch unvermindert hoch sei. Schwerpunkt seien dabei nach wie vor Taten häuslicher und sexueller Gewalt, bei denen die Täter fast immer aus dem persönlichen Umfeld der Betroffenen stammen und aus Scham oder Angst nicht angezeigt würden.
Die Hilfe des WEISSEN RINGS könne jedoch auch ohne Anzeige in Anspruch genommen werden, sagt Manfred Dachner. Die Betreuer würden zu den Betroffenen nach Hause kommen, um die Hemmschwelle möglichst gering zu halten. Die Anonymität des Opfers bleibe dabei absolut gewahrt. Um den Kontakt aufzunehmen, reiche ein Anruf. Wenn denn die Nummer bekannt ist. Weil das oft nicht so sei, will Manfred Dachner, der lange Jahre Chef der Neubrandenburger Polizeidirektion war, heute seinen Kollegen ins Gewissen reden, bei der Aufnahme von Anzeigen auf die entsprechenden Hilfsangebote hinzuweisen. Aber auch Ärzte und Rechtsanwälte seien gefragt, die mit Opfern von Straftaten zu tun haben.
Dabei müsse es nicht unbedingt um körperliche Gewalt gehen. Auch das sogenannte Stalking sei mittlerweile eine anerkannte Straftat. Allerdings hätten sich die Methoden der Täter in den vergangenen Jahren verändert. Während sich Manfred Dachner noch an einen etwas älteren Fall erinnert, bei dem ein Mann tagelang jemandem aufgelauert habe, berichtet eine junge Frau aus der region Rostock in einer Broschüre des WEISSEN RINGS: „Über einen gefälschten Facebook-Account versuchte er Kontakt mit meinen Freunden aufzunehmen, lud Bilder von mir und meinem neuen Hauseingang nebst Klingelschild hoch, … Ich habe mich hilflos und und ausgebrannt gefühlt. Meine Tochter und ich hatten Schlafstörungen und Angst.“
Insgesamt rund 6000 Menschen konnte der WEISSE RING in Mecklenburg-Vorpommern seit 1991 helfen. Um materielle Notlagen zu lindern, wurde an diese Menschen insgesamt über 2,7 Millionen Euro gegeben. Es gibt 17 Außenstellen, in denen insgesamt 145 ehrenamtliche Mitarbeiter aktiv sind. In Brandenburg arbeiten 158 ehrenamtliche Mitarbeiter in 18 Außenstellen, wo jährlich etwa 1000 Opfer die Beratungsangebote nutzen.
Der WEISSE RING ist über die Telefonnummer 0385 5 00 76 60 (Landesbüro Schwerin) oder 0395 - 368 18 55 (Außenstelle Neubrandenburg) zu erreichen.
Autor: Matthias Diekhoff
Kontakt zum Autor: m.diekhoff@nordkurier.de